Am Montag, dem symbolträchtigen 9. Mai, gastierte im Musiksaal des Mengener Gymnasiums Stefan Hallmayer vom Melchinger Lindenhoftheater mit dem Einpersonen-Stück „Einwandfrei Manfred“, das er zusammen mit Axel Krauße hochdeutsch-schwäbisch gemischt geschrieben hat: Das Stück ist laut Untertitel ein „Angriffslustiger Kabarett-Konter eines Verfassungspatrioten“. Vor der Schülerschaft der 10ten und 11ten Klassen aber gab es auch etwas zu verteidigen, nämlich das 73 Jahre alte Grundgesetz, geboren am 23. Mai 1949.
Eingangs stellt der schwäbische Hallodri Manfred sich als Tausendsassa vor. Er habe keine Lust gehabt, die väterliche Firma zu übernehmen, unter anderem als Schreiner, Aktienhändler und Tauchlehrer gearbeitet, sei um die Welt gereist, habe vier Kinder auf vier Kontinenten und alle gern. Über Mexico und Costa Rica sei er schließlich als Barmixer auf Jamaika gelandet, wo er in Montego Bay eine Strandbar betreibe und den Touristen z. B. beim Cuba Libre das Grundgesetz im Rahmen des baden-württembergischen Landesprogramms „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ erläutere. Aus der Ferne sehe man manches klarer und so habe er sofort zugestimmt mitzumachen, natürlich „gegen Kohle“. Sodann trägt er unabhängig, süffisant und wortgewaltig die Unzulänglichkeiten und Stärken des Grundgesetzes vor. Im Einzelnen geht er besonders den Artikeln zur Menschenwürde, Gleichberechtigung, Sozialbindung des Eigentums, zur Wahl-, Meinungs- und Religionsfreiheit sowie zum Asylrecht auf den Grund, indem er konkret fragt, wem was erlaubt ist und warum.
Das Grundgesetz sei 1949 als Provisorium und „Bollwerk gegen den Sozialismus“ für die westdeutsche Bundesrepublik geplant worden und sollte im Falle einer Vereinigung von einer gesamtdeutschen Verfassung abgelöst werden. Daraus wurde dann 1990 bekanntlich nichts. Das Provisorium überlebte und eine historische Chance wurde verpasst. Deshalb nenne man bei uns Grundgesetz, was in anderen Ländern Verfassung genannt werde. Mit dem ersten Artikel zum Schutz der Menschenwürde vor staatlicher Gewalt und Willkür sei von Anfang an klar, dass das Grundgesetz vor allem auch eine Antwort auf die vorangegangene Willkürherrschaft des nationalsozialistischen Staates sei.
Die grundgesetzlich garantierten Freiheitsrechte des Einzelnen erläutert und überprüft „Manfred“ mit provokativen Fragen und Anmerkungen. Das allgemeine Wahlrecht müsse sich die Frage gefallen lassen, ob es angesichts der weitverbreiteten Bildungsdefizite eigentlich gut sei, dass jeder und jede wählen dürfe. Zur gesetzlich garantierten Gleichberechtigung (Art.3) erinnert „Manfred“ an die erbitterten Auseinandersetzung im Parlamentarischen Rat, bis sich die vier Frauen gegen die Überzahl der 61 Männer durchgesetzt hatten. Tatsächlich habe es dann noch Jahrzehnte gedauert, bis Frauen ihr eigenes Konto führen und einen eigenen Beruf frei wählen konnten. Der Kampf gehe weiter, aber weltweit tue sich etwas. In Saudi-Arabien dürften Frauen jetzt sogar schon Autofahren. Die grundgesetzliche Bestimmung „Eigentum verpflichtet“ (Art.14), etwas damit für die Allgemeinheit zu tun, sieht „Manfred“ zum „Recht auf´s Profitieren“ verkommen, räumt aber ein, dass auch er selbst z.B. mit steigendem Getränkeumsatz von der Klimakrise profitiere.
Ein besonderes Anliegen ist ihm das Asylrecht für politisch Verfolgte (Art.16), ergänzt durch die Unterschrift der Bundesrepublik unter die Genfer Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen auf alle Menschen, die wegen ihrer "Rasse, Religion, Nationalität und Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" verfolgt werden. Hier sieht „Manfred“ durch Gesetzesänderungen und politische Abschiebepraxis Deutschland wie Europa ins Mittelalter zurückfallen. Als Weltenbummler habe er in viel ärmeren Ländern eine viel größere Hilfsbereitschaft erlebt. Er beschwört noch einmal die Formel, dass Recht und Gerechtigkeit nicht identisch seien, denn auch im Holocaust habe es für die jede Ermordung eine rechtmäßige Unterschrift gegeben.
„Manfred“ preist das Grundgesetz als historische Errungenschaft. Es habe Jahrhunderte gedauert, bis die Religion Privatsache war und der Staat auf rechtlichen Füßen stand. Viele Menschen seien dafür gestorben, dass wir heute unsere Lebensart selbst bestimmen können. Auch wenn es inzwischen mehr als 60 mal geändert worden sei, sei das Grundgesetz nicht das eigentliche Problem, sondern die Frage, was in der Praxis daraus gemacht werde.
Dem hemdsärmelig vorgetragenen Klartext Stefan Hallmayers alias Manfred war die Schülerschaft mitunter amüsiert und immer interessiert gefolgt. Nach einer kurzen Pause befragten sich Schülerschaft und Schauspieler wechselseitig. Zunächst interessiert die Schülerschaft, ob der Schauspieler das ganze Grundgesetz gelesen habe. Auf die Frage, was ihn zum Thema gebracht habe, verwies Hallmayer auf die Lehren aus der Zeit der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft und auf seine persönliche Empörung, dass Seenotrettung plötzlich nicht mehr selbstverständlich sein soll. Hilfe sei Hilfe und die Pflicht zur Hilfe kenne keine Grenze. Er räumte ein, nicht das ganze Grundgesetz gelesen, sondern sich auf die große Kraft der ersten Artikel konzentriert zu haben. Der Schauspieler bejahte, dass unsere Verfassung mit denen anderer Länder „mithalten“ könne, und sprach das europäische Projekt einer gemeinsamen Verfassung an. Wichtig dabei sei, Unterschiede in den gegenwärtigen west- und osteuropäischen Verfassungen, was z.B. die Begriffe „Volk“ oder dem „Nationalbewusstsein“ angeht, zu berücksichtigen. Die Schülerschaft ihrerseits erklärte, sie sei eher mit einem neutralen Gefühl zur Aufführung gekommen und nun der Meinung, auch andere Klassen sollten das Stück sehen. Gerade Manfreds Charakter und Kostüm brächten die Botschaften gut rüber.
Am Ende bat Hallmayer, ein Formular zu unterschreiben, damit er vom Ministerium seine „Kohle“ kriege. Ein Schüler trägt unter „besondere Vorkommnisse“ ein: „Mehrmals in die Bar eingeladen.“
Text und Fotos: Vielen Dank an unseren externen Redakteur Gregor Espelage! Mai 22