Es ist Dienstagmorgen, 07:45 Uhr. Es herrscht eine rege, aber konzentrierte Arbeitsatmosphäre, denn die Schülerinnen und Schüler der Klasse 8a bereiten sich auf eine Gerichtsverhandlung vor - nicht gerade alltäglich!
Im Deutschunterricht bearbeitet die Klasse zur Zeit mit Frau Conrad „Kleider machen Leute“,
eine Novelle des Schweizer Dichters Gottfried Keller von 1874. Obwohl das Werk schon 140 Jahre alt ist, tut die altmodische Sprache der Lektüre der Begeisterung keinen Abbruch: Die Frage, welche Rolle Äußerlichkeiten und Kleidung in der alltäglichen Wahrnehmung spielen. Im Falle des mittellosen Schneiders Wenzel Strapinski hat es sich ergeben, dass er aufgrund seiner edlen Kleidung von der gesamten Dorfgemeinde in Goldach für einen reichen Grafen gehalten und auch entsprechend behandelt wird. Zu allem Überfluss verliebt sich Strapinski auch noch in Nettchen, die Tochter des reichen Amtsrates: Sie gestehen einander die Liebe, ohne dass Nettchen von Strapinskis Geheimnis weiß. Strapinski, ein zurückhaltender und höflicher Mann, gerät durch das Verhalten der Goldacher ihm gegenüber in immer tiefere Verstrickungen, weil er das Missverständnis nicht auflösen kann bzw. will. Bei der Hochzeit von Nettchen und Strapinski kommt es zum Eklat, da er dort seinem ehemaligen Schneidermeister begegnet, welcher Strapinskis wahre Identität vor der Hochzeitsgesellschaft enthüllt.
Die Schülerinnen und Schüler versetzen sich nun in verschiedene Rollen der Goldacher Dorfgemeinschaft, um eine Gerichtsverhandlung zu inszenieren, in der die Frage geklärt werden soll, ob sich Strapinski der arglistigen Täuschung schuldig gemacht hat oder nicht. Die Schülerinnen und Schüler spielen den Richter, den Staatsanwalt, Strapinski und seinen Verteidiger sowie die Zeugen Melchior Böhni, Nettchen und den Waag-Wirt. Auch Vertreter der Presse dürfen bei der Verhandlung nicht fehlen, sie protokollieren den Verhandlungsverlauf und nehmen Fotos auf. Der Richter eröffnet schließlich die Verhandlung, sie beginnt mit der Anklage durch den Staatsanwalt, gefolgt von Strapinskis Aussage und einem Plädoyer für seine Unschuld. Anschließend werden drei verschiedene Zeugen befragt, die ihre Wahrnehmungen und Erlebnisse in Bezug auf Strapinski darlegen und zur Klärung des Falles beitragen. Zeitweise geht es hoch her im Gerichtssaal - der Richter ordnet eine Auszeit vor der Tür für eine Minute an, wenn sich Staatsanwalt oder Zeugen zu sehr echauffieren und die Gerichtsordnung nicht einhalten.
Nach der Befragung aller relevanten Beteiligten zieht sich der Richter mit seinen Beratern nach mehr als 40 Minuten zu einer kurzen Beratung zurück und das Urteil lautet: Strapinski ist unschuldig! Er sei ein Opfer der Umstände gewesen und ihm sei kein böser Vorsatz der Täuschung nachzuweisen.
Für die Schülerinnen und Schüler endet damit eine erlebnisreiche Deutschstunde mit dem Fazit: Auch die Behandlung von vergleichsweise alten Texten kann im Unterricht Spaß machen - es kommt eben auf das „Wie“ an!
Text & Fotos: Herzlichen Dank an Frau Conrad und die Klasse 8a! Dez. 2014